Und wieder feiert ein Team im All-hands Meeting seine Helden: „Steffi, coole Leistung”, „Danke auch an Michael für den Bugfix“, „Und nicht zu vergessen: großartige Leistung von Kurt, der den Release vor die Tür gebracht hat.” Hat er? Hat Kurt dies wirklich ganz alleine gemacht, wofür er hier gerade hervorgehoben wird? Vermutlich nicht.
Ich wundere mich immer wieder über die Heldenkultur in Organisationen, in denen Leistungen, die von mehreren Kollegen erbracht worden sein müssen, einer einzelnen Person zugeschrieben werden. Und woher dieses Bedürfnis kommt. Mit Sicherheit hat Kurt, bevor er das Problem gelöst hat,mit einigen anderen darüber gesprochen, die wiederum zu oft keine Erwähnung finden in den Lobeshymnen im Anschluss. Meist ist kein böser Wille dahinter: Vor acht Jahren, als das Unternehmen noch klein war, haben fünf Personen das Produkt alleine gebaut. Damals war es möglich und sicher auch richtig, jeden Mitarbeiter einzeln für seine Leistungen zu loben. Ist das Team dann aber auf 15 bis 20 Personen gewachsen, geht die Rechnung nicht mehr auf. Häufig verflechten sich die Einzelleistungen zu den Endergebnissen — werden dann trotzdem weiterhin nur Einzelpersonen gelobt, fühlen sich die anderen nicht gesehen und können schnell frustriert oder demotiviert werden.
Einzelhelden-Kult funktioniert nicht mehr. Es ist heute im Unternehmen kaum noch möglich, als Individuum vom restlichen Team isolierte Einzelleistungen zu erbringen. Dennoch begegnet mir immer noch und immer wieder das Muster, die eigene Leistung und Person über andere zu erheben, um überhaupt als erfolgreich anerkannt zu werden. Dieses Mindset ist kontraproduktiv, wo doch ein Team und somit seine Individuen immer besser werden, je mehr gute Menschen und Gedanken es bereichern. Trotzdem fühlt sich für viele ein Lob ans Team oft nicht persönlich genug an. Werden aber alle Individuen im Team aktiv und wertschätzend gesehen, so wird auch der individuelle Beitrag zur Leistung durch ein Teamlob für den Einzelnen spürbar anerkannt.
Ist das Feiern also grundsätzlich schädlich für das Klima? Ganz im Gegenteil, Erfolge zu benennen und auch kleine Leistungen ordentlich zu feiern ist extrem wichtig. Am besten sollte im agilen Arbeiten wirklich jede Iteration einander wertgeschätzt werden. Problematisch wird es erst, wenn der Anteil mehrerer Personen auf einmal ausradiert und auf einen Einzelnen übertragen wird. Auch jemand, der “nur” die Doku macht oder reviewt, leistet einen Beitrag an der Teamleistung. Das Produkt steht allein aufgrund jeder einzelnen noch so kleinen Unterstützung.
Natürlich kann ich trotzdem nach wie vor den einzelnen Menschen danken. In der komplexen Welt, in der wir leben, werkeln in den allermeisten Fällen immer mehrere Menschen an einer Sache — es ist die Aufgabe des Managements, das niemals zu vergessen. Schließlich sind nicht zuletzt die Führungskräfte maßgeblich für ein faires Feiern verantwortlich. Sinnvoll ist es, Führungsprinzipien zu erarbeiten, die dabei unterstützen, das Verhalten zu ändern — setting drives behaviour. Das heißt, wenn ich den Rahmen anpasse oder den Raum der Arbeit, führt dies zum Ändern des Verhaltens der Mitarbeiter. Führungskräfte können in diesem Sinne als Vorbild für die Teams wirken, indem sie darauf verzichten, eine Kultur aus einsamen Wölfen zu zelebrieren. Erst wenn andere Teams sehen, dass der Chef davon spricht, dass “wir als Führungsteam” entschieden haben, bestimmte Kunden aufzunehmen statt “ich habe entschieden”, kann sich diese Form der gemeinsamen Verantwortungskultur auch unter den Mitarbeitern etablieren.
Führungsteams, die ein gemeinsames Bild haben, gemeinsam liefern und sich gemeinsam feiern können, sind unersetzlich, wenn es darum geht, keine Einzelkämpfer mehr heran zu züchten. Es lohnt sich gewiss, gemeinsame Ideen und Werte für die Organisation zu teilen, die Gemeinsamkeit im Führungsteam selbst auszuprobieren und sich immer wieder zu fragen, welche Kultur eigentlich entstehen soll im Unternehmen. Wenn das Führungsteam als Vorbild lebt, kann die neue Kultur dann in die Organisation schwappen. Und das ist dann wirklich ein Grund zum Feiern. Und zwar mit allen zusammen — das macht dann auch umso mehr Spaß!