
In Krisen lassen sich zwei Phänomene zeitgleich beobachten: sowohl Menschen als auch Organisationen fallen beinahe automatisch 1. in alte Verhaltensweisen zurück und werden gleichzeitig 2. auf einmal handlungsfähig, vorausgesetzt sie sind nicht in Schockstarre verfallen. Den biologischen Prozess dieser Phänomene möchte ich an dieser Stelle nicht aufarbeiten. Wohl aber einen Blick darauf werfen, wie sich diese beiden Zustände so verbinden lassen, dass sie auch in ruhigeren Zeiten zum Erfolg führen können.
In der Nachrichten der letzten Tage konnten wir einiges davon beobachten: Ein cross-funktionales Minister-Team hat sich mit Angela Merkel — sie ist sozusagen Product Owner und das Produkt ist eine halbwegs stabile Bundesrepublik am Ende des ganzen Schlamassels — trotz aller Differenzen auf gemeinsame Maßnahmen zur Eindämmung des Virus geeinigt.
Der Sprint dauert 2 Wochen, danach gibt es eine Retro zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen und der nächste Sprint wird geplant.
Selbst unumstößlich geltende Glaubenssätze werden auf einmal innerhalb von Tagen über Bord geworfen.
Ist der Druck groß genug und das Ziel eindeutig, sind sonst langwierige Prozesse, wie die Abstimmung über notwendige Gesetze und Maßnahmen, plötzlich in Windeseile durchlaufen. Selbst unumstößlich geltende Glaubenssätze, wie die schwarze Null, werden auf einmal innerhalb von Tagen über Bord geworfen.
Diese Phänomene tauchen in großen wie in kleinen Organisationen, politischen und anderen Systemen auf. Häufig versucht man, ihnen mit Krisenstäben und Task Forces zu begegnen.
Klar wird auch, dass sich selbst organisierende Systeme ohne Führung aufgeschmissen sind, da in ihnen nur lokal optimiert wird
Klar wird auch, das sich selbst organisierende Systeme ohne Führung aufgeschmissen sind, da in ihnen nur lokal optimiert wird. Wenn jeder danach schaut, selbst den größten Vorrat an Toilettenpapier und Spaghetti im Haus zu haben, ist das gesamte System unterversorgt und wird nicht überleben. Die Herausforderung ist also einmal mehr, eine Antwort auf die Frage zu bekommen: welche Elemente von Führung sind unerlässlich und sorgen gleichzeitig dafür, dass sie eben nicht, wie in klassischen Organisationen häufig der Fall, zum Engpass werden und dadurch zu Verlangsamung und Wirkungslosigkeit führen?
Weitere Fragen, die sich Systeme stellen können, um aus dieser Krise auch strukturell zu profitieren, könnten lauten: Angenommen, die Corona Pandemie hat uns als Menschen und als Organisation unsere besten Eigenschaften noch einmal deutlich vor Augen geführt: Welche sind das und was können wir tun, um diese Elemente auch in ruhiges Fahrwasser zu retten? Was hätten wir (weiterhin) tun müssen, um die Krise auf gar keinen Fall als funktionierende Organisation zu überstehen? Welche Rolle hat Führung in dieser Zeit gespielt?
Die Folgen der Pandemie werden sich nicht wegagilisieren lassen. Ob agil oder nicht, der Großteil aller Unternehmen wird mit den Auswirkungen umgehen müssen. Fest steht, dass agile Unternehmen im Sinne der Anpassungsfähigkeit an solche Ausnahmeereignisse etwas besser aufgestellt sind. Gleichzeitig haben etablierte Unternehmen mit klassischen Strukturen und Prozessen eine ganze Reihe von Erfahrungen und Ressourcen, die ihnen bereits in der Vergangenheit dabei geholfen haben, schlechte Zeiten zu überwinden. Ihre Aufgabe wird es nun sein, diese Ressourcen zu aktivieren. Zukünftige Krisen lassen sich dann mit der Kombination aus Erfahrung und Anpassungsfähigkeit noch schneller bewältigen.
Es ist ein systeminhärentes Muster, diese Ressourcen nur dann zu aktivieren, wenn wir bedroht werden. Dieses Muster gilt es zu unterbrechen und neue Muster zu etablieren.