Business Modell Canvas, Zusammenarbeitsmodell, Hybrid Culture Canvas und jetzt gibt es da noch ein anderes? Wofür braucht es das denn?
Wenn viele Information rumschwirren, ist es gar nicht so einfach, den Blick für das Wesentliche zu behalten. Es gelingt eigentlich nur einen Fokus zu setzen, wenn Mensch sich die Zeit nimmt, diesen auch zu bestimmen. An dieser Stelle soll es um das gemeinsame Verständnis von Ziel und Zielerreichung sowie Produktivität auf Projekt‑, Team- oder Abteilungslevel gehen. Fokus und Zielausrichtung ist eng an das Thema Führung geknüpft. War es bis heute ein ausgewählter Chef oder erfahrender Lead, könnte es in Zeiten der stetigen Weiter- und Neuentwicklungen jedes einzelne Teammitglied sein, welches ein Puzzleteil zum Gelingen des Vorhabens beiträgt. Durch diese Pluralität mag sich die Komplexität von Zusammenarbeit vervielfältigen. Damit dies nicht gleichzeitig in Überforderung endet, verstehen wir uns als Systemische Agile Coaches, die eine angemessene Entwicklung prozessual begleiten. Nützliche Kompass-Tools auf diesem Weg können Scrum oder Kanban-Boards auf Arbeitsebene sein und OKRs als Fokus-Fit zwischen verschiedenen Ebenen dienen. Ebenso nutzt der Team Formation Canvas die Visualisierung zur Momentaufnahme eines aktuellen Team- oder Kulturdesignprozesses, anhand dessen Verständigung stattfinden kann. Ganz grundsätzlich dient ein Canvas als Navigationsübersicht, welche eine Orientierung für das Ziel und dessen Umsetzung über Wochen und Monate hinweg geben kann. Anhand dieser Darstellung kann Bedarf und Realität immer wieder abgeglichen und ausgerichtet werden.
Auf der Suche nach einer guten Grundlage für ein neues selbstorganisiertes Team
Wir haben das Team Formation Canvas nicht im Vakuum erfunden, sondern zusammen mit Nils Kramer aus dem Team Canvas zur Anwendung in einer Revisionsabteilung, die eine selbstorganisierte Einheit formte, um ihr Portfolio flexibler und ihre Ressourcen effektiver zu planen, adaptiert. Die Herausforderung im initialen Fall war es ein interdisziplinäres Team digital zusammenzubringen. Das von uns zum Team Formation Canvas weiterentwickelte Modell richtet sich auf zwei Hauptbereiche: Gemeinsamer Fokus auf Ziel und Sinn sowie Menschen, die daran arbeiten und deren Ressourcen. Letzteres ist nicht zuletzt für unseren systemischen Ansatz, der größere Bereich, der sich in die Beantwortung des übergeordneten “Wie?” und “Womit?” differenziert. Das Canvas eignet sich vor allem für die Bildung und Etablierung neuer selbstorganisierter Teams. Nach der ersten intensiven Zielerarbeitungs- & Anforderungsphase fand sich ein diverses Team, welches mit seinen unterschiedlichen Perspektiven auf das Vorhaben (zuvor: Fachleiter*in, Revisor*in, Koordinator*in) ein möglichst einheitliches Verständnis des Vorhabens erlangen sollte. Gleichzeitig galt es die unterschiedlichen kulturellen Gewohnheiten (Sprache, Hierarchie- und Kooperationsverständnis) in einen gemeinsamen Arbeitsmodus zu gießen, in dem Respekt, Offenheit und Mut wachsen können. Wir wählten für die Erarbeitung mit den Manager*innen in Phase 1 und dem Team in Phase 2 den Einsatz verschiedener Methoden und Tools in Workshops, in die wir hier einen Einblick geben möchten. Bewährt hat sich, die Nutzung eines Canvas im Rahmen eines zentralen Kick-Offs, in dem die Inhalte entweder vor Ort in 2–5 Tagen oder im digitalen Raum über die ersten Wochen hinweg an halben Online-Workshoptagen erarbeitet werden. Beide Varianten bringen Vor- und Nachteile mit sich, die es im Falle einer Wahl abzuwägen gilt.
Phase 1 der Teamformation: Den Weg für das Team bereiten
Noch bevor ein Team gebildet wird, lohnt es sich zu umreißen, welchen Mehrwert die Zusammenarbeit erbringen soll, welche Ziele es gibt und welche Stakeholder involviert sein werden. Involvierte Personen sind idealtypisch Product Owner, (Innovations-)-Manager, Mitarbeitende oder Arbeitsgruppenteilnehmende aus Forschung und Entwicklung oder dem Business Development. Ziel dieser Phase ist es Rückschlüsse ziehen zu können, welche Teamfähigkeiten gebraucht werden, um das Vorhaben zu realisieren. Das Canvas gibt den ersten Schritten der Formierung einen Rahmen und bietet eine Brücke, die Haupterkenntnisse in Phase 2 an das neugebildete Team zu übermitteln.
Sinn & Mehrwert lässt sich beispielsweise anhand von Design Thinking-Techniken erarbeiten. Die Arbeit mit Personas und Feldinterviews über Bedürfnisse kristallisieren heraus, wie eine Dienstleistung oder ein Produkt eine positive Veränderung schaffen kann. Die Erkenntnisse über Kunden-Persona können im Feld Stakeholdermapping aufgegriffen werden.
Stakeholder können mit Hilfe einer Stakeholdermap sichtbar gemacht und sortiert werden. Auf der Basis von Kriterien wie Einflussnahme auf die Produkterstellung oder antizipierte Kooperationsbereitschaft können Formate der Zusammenarbeit definiert werden. Erkenntnisse aus dieser Arbeit können bereits in die Felder „Unterstützung“, „Herausforderungen & Risiken“ oder „Richtlinien & Wegweiser“ einfließen.
Das Feld gemeinsame Ziele könnte in der ersten Phase zunächst nur Ziele heißen. Zu diesem Zeitpunkt muss jedoch klar sein, dass deren Formulierung für die Erlangung eines gemeinsamen Verständnisses in Phase 2 essenziell ist. In komplexen Vorhaben sind Ziele nicht einfach zu bestimmen und werden in mehreren Iterationen durch Zielgruppeninterviews geschliffen und überarbeitet. Hand in Hand mit diesem Feld kann die Erarbeitung eines Backlogs gestartet werden.
Die benötigten Fähigkeiten in einem Team werden idealerweise auf Basis der Ziele, des zu schaffenden Mehrwerts und der Stakeholder definiert, bevor das Team zusammengestellt wird. Dabei gilt es nicht nur passende Hard Skills und Expertisen zu bestimmen, sondern auch herauszukristallisieren welche Soft Skills gesucht werden. Welche Menschentypen braucht es für ein optimales Ergebnis? Wie gestaltet sich für das Projektvorhaben ein ausgewogenes Verhältnis von Teamrollen wie Ideengeber*innen, Umsetzer*innen, analytischen Denker*innen und kontinuierlichen Verbesser*innen? Diese Kriterien legen die Grundlage für das Design eines geeigneten Besetzungsverfahrens.
Phase 2 der Teamformation: Das Team aufgleisen und aktivieren
Wie bereits erwähnt, begleiten wir die Phase 2 idealtypisch mit einem Team-Kick-Off, in dem die bestehenden Informationen aus den Feldern Mehrwert, Stakeholder und Ziele aufgegriffen und beleuchtet werden. Individuell angepasst an das Vorhaben empfehlen wir im Rahmen des Kick-Offs, die erste Iteration mit den in Phase 1 beschriebenen Methoden mit dem neuen Team sowie den bisherigen Initiator*innen zu durchlaufen. Auf diese Art kann Wissen ganzheitlich weitergegeben und kritisch überprüft werden. Dies ist vor allem die Präzisierung der Ziele von Bedeutung. Denn zu Beginn eines neuen Teams steht ein klares gemeinsames Verständnis über das Vorhaben im Mittelpunkt, um mögliche Interpretationsabweichungen gering zu halten. In diesem Abschnitt werden erste Überarbeitungen im Canvas sichtbar gemacht und um „Herausforderungen & Risiken“ oder „Unterstützung“ ergänzt. Dieser Teil lässt sich auch als das Planning eines durchaus umstrittenen Sprint 0 in Scrum verstehen.
Aufbauend darauf beginnt die Analyse und das Kennenlernen der eigenen Ressourcen, welches einem Teambuilding am ehesten ähnelt. Ziel ist es, dass sich für das Team am Ende möglichst eindeutige Antworten auf die Frage: „Wie setzen wir unsere Ressourcen ein, um das Ziel zu erreichen?“ ergeben. Der letzte Schritt ist die Vervollständigung der Erkenntnisse, sowie deren Übersetzung in konkrete Richtlinien und Wegweiser, die in Retrospektiven aufgegriffen, überprüft und erneuert werden dürfen.
Ein Weg für den Aufbau einer Teamkultur
Abschließend möchten wir noch einen Einblick geben, wie die Zwischenschritte des gegenseitigen Kennenlernens gestaltet werden können, um die Themen-Felder des Canvas in Phase 2 zu durchdringen.
Fähigkeiten: Zu Beginn steht die gegenseitige Vorstellung der Teammitglieder. Je nach Gruppengröße, vorab bestehenden Gemeinsamkeiten und Organisationskultur versuchen wir, dies maximal interaktiv und kurzweilig zu gestalten. Neben dem Austausch von Informationen, die dazu führen, dass das Team sein Potenzial und Herausforderungen zum ersten Mal einschätzen kann, gilt es die Anspannung zu lockern und Vertrauen aufzubauen. Idealerweise kann das Team auf Basis seiner Erfahrungen und Erkenntnisse sowie seiner Stärken und Schwächen direkt formulieren, wie sie als Team zusammenwachsen und schlagkräftig agieren wollen.
Team-Werte & Prinzipien: In diesem Part hat sich die Arbeit mit unseren Wertekarten bewährt. Zunächst hat jedes Teammitglied die Gelegenheit seine eigenen Werte im Arbeitskontext zu bestimmen. Ziel ist es zu erkennen, woran die eigene Motivation und die Erwartungen an andere gemessen wird. Es geht darum Implizites explizit zu machen und persönliche Antreiber kennenzulernen. Das Teilen der eigenen Einsichten in einem neuen Team ist ein sensibler Schritt, der relevant ist, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Ein moderierter Austauschprozess rund um die Werte ergänzend zur Erklärung, warum es den Dialog darüber in einem erfolgreichen Team braucht, ist für den ersten Schritt meist ausreichend. Auf dieser Basis können Teamwerte und Prinzipien bestimmt und deren Handlungs-Ableitungen in „Richtlinien und Wegweiser“ einfließen.
Der Austausch über Bedürfnisse baut stark auf den vorherigen Elementen auf und ist ein Bindeglied zur Formulierung der Team-Richtlinien als interner Wegweiser. Je nach Einschätzung des Facilitators können Methoden wie Appreciative Inquiry, Tests zu Persönlichkeitstypen/ Teamrollen und deren Reflektion unterstützend zum Einsatz kommen. Vertiefend zu den eigenen Werten werden die Teilnehmenden ermutigt, an dieser Stelle ihre gewonnene Selbsterkenntnis an und für andere Teammitglieder zu kommunizieren. Dieser Schritt bildet die Grundlage für das Lösen von Spannungen und Konflikten und stärkt die agilen Werte Offenheit, Respekt und Mut innerhalb der Teams. Je nach verfügbaren Zeitrahmen und aufkommenden Gesprächen verbinden wir diesen Teil gerne mit Impulsen rund um das Thema bedürfnisorientierte Kommunikation und Feedback.
In crossfunktionalen Teams kommen nicht nur unterschiedliche Skillsets, sondern auch Mindsets zusammen. Auch wenn es etwas Übung sowie eine vertrauensvolle und offene Kommunikation dafür braucht: Je mehr Orientierung und laufende Verständigung es im Feld Richtlinien & Wegweiser gibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Meinungsverschiedenheiten respektvoll ausgetragen werden können. Zentrale Fragen können sein:
- Auf Basis unserer Werte, Bedürfnisse sowie Ziele und Rahmenbedingungen: Wie treffen wir Entscheidungen?
- Wodurch lassen sich Transparenz, Commitment und Freiwilligkeit leben? Ist es der gegenseitige Zugriff auf alle Outlook-Kalender, ein geteiltes Postfach, das CC-setzen in Mails?
- Wie wird der Fortschrittsstatus getrackt und kommuniziert? Wie oft braucht es gemeinsamen Austausch — digital oder vor Ort? Welche Formate funktionieren asynchron?
Je nachdem wie viel Vorerfahrung ein Team im selbstorganisierten Arbeiten hat, verteilt sich der Mix aus Erfahrungsaustausch, Input sowie Festlegung von Teststrecken zu einer initialen Entscheidungsform. Letzteres kann vom Facilitator entsprechend seiner Einschätzung der Erfordernisse gewählt werden. Wenn es sich um eine dem Team bisher unbekannte Methode wie z.B. das systemische Konsensieren handelt, hilft eine Anleitung, Begleitung sowie die Reflektion nach Ablauf einer festgelegten Testphase. Dies sei nur zu empfehlen, wenn das Team offen dafür ist, etwas Neues zu erfahren und stabil und stressfrei genug ist sich darauf einzulassen.
Wir empfehlen, äquivalent zu „Richtlinien & Wegweiser“ am Ende einen zusammenfassenden Blick auf das Thema Unterstützung zu lenken. Hierfür werden auf Basis der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie der Rahmenbedingung Ideen und Maßnahmen generiert, um das Vorhaben kollaborativ und ressourcenorientiert zu gestalten.