Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir vergessen haben – und was wir ganz bestimmt nicht nochmal machen. Jeden Freitag frisch aus dem Berliner Büro (und derzeit aus dem Homeoffice)
Heute ist schreiben schwer. Schauen wir uns mal die vergangene Woche an. Wir befinden uns nach wie vor inmitten einer Pandemie. Und alle Menschen, die derzeit soziale oder traditionelle Medien nutzen, haben den Mord an George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis mitbekommen.
Schreiben ist schwer, weil der Bezug zu fehlen scheint. Unser Team arbeitet in Deutschland, ist weiß, arbeitet im Agile Coaching und wir alle kennen den Spruch „Es wurde schon alles gesagt, nur halt nicht von jedem.“ Ist das hier der Fall?
Vielleicht geht es hier vielmehr um Haltung. Um Komfortzonen und das Verlassen dieser. Verletzbarkeit. Sprache und ihre Wirksamkeit. Das sind Themen, die uns vertraut sind. Wir haben schon oft darüber geschrieben und noch öfter darüber gesprochen. Wir setzen uns für eine Arbeitswelt ein, in der es sich für alle sicher und erfüllt leben lässt. Wofür wir das tun? Nicht, weil wir Gewinnmaximierung so geil finden, dann könnten wir auch in einem anderen Bereich arbeiten. Sondern, weil wir davon überzeugt sind, dass der Bereich der Arbeit einer von vielen Aspekten der Welt ist. Was für die Arbeit im Team gilt, gilt auch für ein Leben in der Gesellschaft.
Wer über Corona redet, kann auch über Rassismus reden
Wir, ein Team aus sehr verschiedenen und durchgehend weißen Personen, leben in einer Gesellschaft, in der Menschen wie wir von strukturellem Rassismus profitieren. Nicht, weil wir das gut finden oder es uns ausgesucht haben. Trotzdem ist es so. Weiß zu sein bedeutet für uns keinen Nachteil bei der Wohnungssuche zu haben, nicht darüber nachdenken zu müssen, ob wir mit der Haut um unseren Körper unbeschadet durch diesen oder jenen Stadtteil laufen können oder ob die Familie unserer Partner*innen „solche wie uns“ akzeptiert. Das zu erkennen tut weh und ändert nichts daran, dass wir diese Vorteile haben.
Wurde das schon alles gesagt, aber nicht von jedem? Nein. Weil es für alle Beteiligten extrem unangenehm ist, darüber zu reden. Weil das Thema so leidbesetzt ist, dass es nie irgendwo reinzupassen scheint, weder beim netten Abendessen mit den Großeltern noch hier in diese Kolumne. Gleichzeitig betonen wir im Arbeitsalltag immer wieder, wie wichtig eine offene Kommunikation und Reflexion ist. Wir arbeiten für ein Miteinander, das Menschen wertschätzt, ihr Wohlbefinden priorisiert. Das ist kein fancy Logo für unsere Außenwirkung, sondern eine Haltung. Und die können wir nicht einfach abstreifen, sobald wir den Laptop zuklappen.
Wer über die Auswirkungen von Corona auf das tägliche Leben schreiben kann, ohne Virolog*in zu sein, kann auch über strukturellen Rassismus schreiben, ohne eine Professur in postkolonialen Studien zu besetzen. (Wer trotzdem fachlichen Input sucht: Tupoka Ogette, Natasha A. Kelly und Alice Hasters sind Expertinnen und leisten großartige Arbeit.) Keine Frage, es ist ein Thema, das viele von uns hilflos macht. Es gibt keinen perfekten Weg. Keine Anleitung. Gerade deshalb machen wir es. Weil wir mit realen Menschen zusammenarbeiten, die in einer realen Gesellschaft leben.
Sprechen versus Schweigen
Wir alle sind gewohnt, uns schnelle Lösungen für komplexe Probleme herbeizusehnen. Die gibt’s hier nicht. Seit langem sprechen wir viel und häufig über die Macht der Sprache. Dabei geht es nicht nur darum, wie wir sprechen, sondern auch worüber wir sprechen. Wen wir ansprechen und wen nicht. Bei all dem Sprechen über Sprache, gewaltfreier, gewaltsamer, wertschätzender und abwertender Sprache, gerät ein relevanter Teil des Sprechens oft in den Hintergrund: Das Nicht-Sprechen, auch genannt Schweigen.
Wer von uns saß noch nie in einer Runde und wurde ungerecht behandelt? Blöd angemacht, übergangen, gedemütigt? Und hat sich inständig gewünscht, irgendjemand möge den verdammten Mund aufmachen? Wurde hinterher von Menschen angesprochen, dass sie das ja eigentlich auch nicht in Ordnung fanden, gesagt haben sie trotzdem nichts? Genau. Lasst uns anfangen zu sprechen. Es geht nicht darum, eine Eins mit Sternchen in Antirassismus zu bekommen oder man fliegt raus. Es geht darum, in einer Welt zu leben, in der Gewalt nicht weiterbestehen kann, nur weil es unangenehm ist, darüber zu reden. Es ist wesentlich unangenehmer, sie zu erleben. Schwarze Menschen und People of Color erleben sie täglich.
Ob dieser Text die Welt verändert? Eher nicht. Ist auch nicht sein Anspruch. Er ist ein Versuch, nach der Maxime Lead by example zu leben. Weil wir uns nicht über andere Menschen beschweren wollen, die dies oder jenes nicht tun, um etwas zu verändern, sondern weil wir einfach irgendwo anfangen müssen.