Ein weit verbreitetes Verständnis von Strategiearbeit sieht diese vor allem in der Verantwortung und in den Köpfen von Strategieexperten und ‑expertinnen. Auch wenn das Image etwas gelitten hat, so ist die Arbeit von McKinsey, Bain und Co noch immer hoch relevant: die globale Aufstellung und Vernetzung ermöglicht es Ihnen, ein ums andere Mal, branchenrelevante Benchmarks zu formulieren und somit relevante Entwicklungsimpulse für die beauftragenden Organisationen zu setzen.
Schwierig wird es, wenn der Eindruck entsteht, die Strategiearbeit sei mit der Formulierung dieser Impulse erledigt. Strategieberatung als Fachberatung erhebt — zu Recht- nicht den Anspruch, sich mit Fragen der Umsetzbarkeit zu befassen. Das würde nicht nur den Expertenstatus verwässern, sondern eine ganz andere Form von Expertise erfordern: Prozesskompetenz. Den Umstand, dass sich inhaltliches Expertentum und Prozesskompetenz nicht leicht vereinen lassen, versuchen beispielsweise agile Frameworks durch die Aufteilung der Projektleiterrolle in Product Owner und Agile Coach anzuerkennen.
Die Prozessverantwortung in der Strategieentwicklung liegt, typischerweise, bei den beauftragenden Rollen oder Gremien der zu begleitenden Organisation (in aller Regel durch ein Ausrollen über die Hierarchie). Doch jede:r der/die schon einmal versucht hat, eine neue Stadt oder ein neues Land zu erkunden weiß, dass sich das Erkunden nicht delegieren lässt und dass es ist deutlich einfacher ist, wenn es jemanden gibt, der oder die einen hier etwas an die Hand nehmen kann. Im Ergebnis entstehen in der Regel Strategiedokumente, die inhaltlich Hand und Fuß , doch steinige Wege in die Umsetzung vor sich haben: ihnen wird- auch das zu Recht — jegliche Nähe zur operativen Realität abgesprochen.
Systemische Strategieentwicklung schließt diese Implementierungslücke, da sie von vornherein darauf ausgelegt ist, die Ausdehnung der Kommunikation des Entwicklungsprozesses mitzudenken. Führungskräfte sind in ihrem Selbstverständnis hier sowohl Reiseführer:innen, da sie beim Durchlaufen der Führungsschleife (Timm Richter und Torsten Groth 2023) festgestellt haben, dass etwas getan werden muss, als auch Reisende (Danke Jürgen Margetich für diese Metapher). Sie lassen sich durch den Prozess führen ohne vorab genau zu wissen, was Ihnen auf dem Weg begegnen wird.
In meiner Erfahrung ist es nicht nur das Anerkennen des Prozesscharakters sondern auch das Markieren der eigenen Fehlbarkeit, was, paradoxerweise, die Chancen auf die Akzeptanz der zu entwickelnden Strategien hier erhöht. “Wir schaffen das nur gemeinsam” ist dann keine Floskel mehr, die am Ende eines Townhall Meetings in die Belegschaft soufliert wird, sondern eine ernstgemeinte Einladung, Widerstände und blinde Flecken so früh wie möglich zu artikulieren, damit sie im weiteren Prozess mitgedacht werden können. Damit ist systemische Strategieentwicklung kein demokratischer Prozess — und das will sie auch nicht sein. Doch durch das Einbeziehen von organisationalen Kapazitäten erfolgt eine Verschiebung des Reglers von eher marktorientierten hin zu eher ressourcenorientierten Strategien (vgl. Nagel/Wimmer 2014) und das wird die Qualität der getroffenen Entscheidungen im Sinne der Umsetzbarkeit deutlich erhöhen.