Entscheidungen herbeizuführen ist eine relevante fast tägliche Aufgabe für selbstorganisierte Teams. In unserer mehrteiligen Blogserie “Partizipativ Entscheiden” beleuchten wir verschiedene Wege, wie Teams ihre Projekte zielgerecht navigieren können. (Teil 1)
Wer schnelle Entscheidungen eines Chefs gewohnt ist, dem mag der Prozess einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zunächst zäh und vor allem unnötig vorkommen. Doch in der komplexen bis chaotischen VUCA-Welt ist es ratsam, sich nicht auf die Entscheidung aus einer Perspektive zu verlassen, sondern diese in Expertenteams zu fällen. Und auch in Teams können Entscheidungen durch geregelte Abstimmungsverfahren effizient getroffen werden. Ausschlaggebend dafür ist, für welches man sich entscheidet. Wir stellen auf unserem Blog die verschiedenen Möglichkeiten vor, um einen Überblick zu bieten und die passende Wahl treffen zu können.
Selbstorganisierte Teams stehen vor allem zu Beginn ihrer Zusammenarbeit vor der Frage, wie sie Entscheidungen treffen. Zunächst ist es für die meisten eine neue Situation innerhalb der gesetzten Commitments (z.B. von User Stories innerhalb eines Sprints) frei zu agieren und bestimmen zu können. Denn nun heißt es untereinander und miteinander entscheiden, wie man ans Ziel kommt. Das kann vor allem zur Herausforderung werden, wenn das Team cross-funktional und divers gemischt ist. Mit unterschiedlichem “Fachblick” oder Vorprägung, verbinden sich durchaus verschiedene Herangehensweisen oder Denkhaltungen, um Fragestellungen zu begegnen.
Jeder erinnert sich noch an die Wahl des Klassensprechers
Heute widmen wir uns Entscheidungen, wie sie nach dem Vorbild politischer Demokratie gekannt und nachgeahmt werden. Neben der autoritären Entscheidung von Erwachsenen ist die Mehrheitsentscheidung wohl eines der ersten partizipatorischen Entscheidungsverfahren, die wir als Kinder kennenlernen. Stehen mehrere Kandidaten zu Auswahl, schreibe ich meinen Favoriten auf den Zettel oder stimme per Handzeichen dafür ab. Wie etwa bei der Wahl zum Klassensprecher.
“Wer ist für Sabine? Wer ist für Klaus? Wer ist für Hannelore?” könnte in einem Scrum-Team heißen: “Wer ist dafür, dass Tasks nur alleine bearbeitet werden sollen? Wer ist dafür, dass Tasks maximal zu zweit bearbeitet werden sollen? Wer ist dafür, dass Tasks von x‑beliebig vielen bearbeitet werden dürfen?” Der oder die Kandidat/in bzw. die Option mit den meisten Stimmen bekommt die Zusage. Bei Gleichstand entscheidet das Los oder es gibt eine Stichwahl. In fortgeschritteneren Verfahren stimme ich jedem Vorschlag aktiv zu, lehne ihn ab oder enthalte mich.
Nur muss klar sein, was “die Mehrheit” bedeutet. Denn davon gibt es unterschiedliche Varianten, mindestens vier, die wir an einem Beispiel vermitteln. Gehen wir davon aus, wir arbeiten in einem Team mit acht Personen.
- “Tasks nur alleine bearbeiten” bekommt in der Abstimmung 2 Stimmen
- “Tasks dürfen zu zweit bearbeitet werden” 3 Stimmen.
- 2 KollegInnen stimmen dafür, dass die “Arbeit mit mehreren Personen an einem Task möglich” sein soll und
- eine Person enthält sich.
Bei der Festlegung auf eine relative Mehrheit, macht “Tasks zu zweit zu bearbeiten” das Rennen. Bei dieser Variante kann leicht eine Mehrheit erlangt werden. Wir können gleichzeitig feststellen, dass fünf KollegInnen und damit die Hälfte des Teams eigentlich anderer Meinung waren. Daher ist der Gedanke eine Mehrheit erlangt zu haben relativ. Wie sie mit dem Ergebnis wohl umgehen?
Für die einfache Mehrheit hätte die Option “Tasks dürfen zu zweit bearbeiten” mehr Zustimmung, gebraucht als die beiden anderen Optionen zusammen. Um sich in der Gruppe durchzusetzen, wären das zum Beispiel vier Stimmen gegenüber zwei und einer Stimme der jeweils anderen Optionen (bei einer Enthaltung). Diese Variante benötigt also bereits etwas mehr Substanz in der Grundgesamtheit.
Wem die Tragfähigkeit der Entscheidung durch eine stabile Mehrheit im Team noch wichtiger ist, sollte auf die absolute Mehrheit setzen: Dafür bräuchte “Tasks zu zweit zu bearbeiten” 50%+ 1 Stimme, also mindestens fünf Stimmen, um sich durchzusetzen.
Bei einer qualifizierten Mehrheit soll für ein vorher festgelegter Anteil erreicht werden. Das könnten z.B. 75% sein, die sich für die finale Option aussprechen. In unserem Beispiel müssten dann sechs von acht Personen sich für den Vorschlag aussprechen. Eine Extremform der qualifizierten Mehrheit ist das Einstimmigkeitsprinzip, bei dem 100%, also das ganze Team, zustimmen müssen.
Was sind die Klippen in der Praxis und wie begegnet man ihnen?
Je mehr Enthaltungen es gibt, desto mehr verwässert das Commitment des Teams hinter der Entscheidung, denn sie werden zumeist nicht in die Grundgesamtheit einbezogen. Enthalten sich beispielsweise vier Personen der Abstimmung, bilden drei Fürsprecher bereits eine absolute Mehrheit. Ebenso wie bei der einfachen Mehrheit besteht das Risiko, dass nicht alle hinter der Entscheidung stehen, wie es zunächst durch eine schnell errungene Abstimmung scheint. Das wird vor allem dann deutlich, wenn es um die Umsetzung der Entscheidung geht und Personen, die dagegen gestimmt oder sich enthalten haben, sich nicht für die Einhaltung verantwortlich fühlen.
Aufgabe eines Scrum Masters oder Agile Coach kann es sein, zu beobachten und zu erfragen, ob vor allem hinter wiederholten Enthaltungen Ängste oder Stimmungen wie Gleichgültigkeit und Verdrossenheit stecken und was das für Auswirkungen haben kann. Weiterhin kann er oder sie dafür sorgen, dass Einwände besprochen und vor einer Abstimmung gehört werden, um die Entscheidungsqualität zu fördern.
Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip werden von Teams manchmal als träge empfunden, auch wenn sie einfach zu handhaben und schnell umsetzbar sind. Welche anderen Entscheidungsverfahren es gibt, die stärker auf die Tragfähigkeit der Gruppe oder ihre Effizienz setzen, stellen wir in den kommenden Wochen in unserem Blog vor.