Warum drei Jahre besonders sind.
Puh. Drei Jahre. What a ride! Es ist wie eine fixe Idee, die sich schon vor der Eintragung der GmbH ins Charlottenburger Handelsregister in meinem Kopf eingenistet hat: Solange wir die dritte Kerze auf der Geburtstagstorte nicht angezündet haben, ist noch gar nichts bewiesen — egal, wie gut es im Moment aussehen mag.
2018 und 2019 waren gute Jahre für den Netzwerkknoten. Wirtschaftlich, personell und persönlich haben wir ein solides Wachstum hingelegt und es sah Ende 2019 so aus, als würde es 2020 genauso weitergehen. Dennoch, es gab zu jeder Zeit dieses kleine Pochen: „Ihr müsst erstmal drei Jahre alt werden, bevor auch nur ansatzweise von einer Etablierung am Markt gesprochen werden kann!“
Und siehe da — im März 2020 wurden, im Zuge der sich abzeichnenden Corona Krise, bestehende Aufträge nicht mehr verlängert und keine neuen ausgeschrieben. An allen Ecken und Enden hieß es: “Wir würden sehr sehr gern mit euch (weiter-) arbeiten, doch wir müssen erst einmal selbst schauen, was das alles für uns bedeutet.” Don’t call us, we’ll call you.
Nachdem wir im Juni noch der Überzeugung waren, dass wir diese Delle mit unseren eigenen Reserven und Inanspruchnahme von Kurzarbeit abfedern können, wurde im Spätsommer klar, dass die Delle eher ein Fass ist, dessen Boden wir beim besten Willen nicht ausmachen konnten. Im September mussten wir die bisher schwerste Entscheidung treffen: Müssen wir unsere Kolleginnen und Kollegen zum Ende des Jahres gehen lassen, oder nehmen wir einen Überbrückungskredit der KfW auf?
Wir haben uns für die zweite Alternative entschieden und hier wurde zum ersten Mal deutlich, dass die drei Jahre Marktpräsenz nicht nur eine fixe Idee sind, sondern weitreichende Konsequenzen haben können: Um einen Kredit der KfW zu erhalten, musste ein Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt mindesten drei Jahre am Markt sein oder wenigstens zwei Jahresabschlüsse vorweisen können. Wir hatten jedoch gerade erst den zweiten Geburtstag gefeiert und waren mit dem großen Zeh im zweiten Quartal des dritten Jahres.
Die Entscheidung, den Antrag an die KFW weiterzureichen liegt letztlich bei der Hausbank und es hätte sehr gut sein können, dass unsere Bank auf das Vollenden des dritten Jahres besteht. Wir hatten Glück.
Einen Tag vor Weihnachten kam der Kredit auf unserem Konto an — wir konnten die Gehälter und andere Verbindlichkeiten weiterzahlen und uns über etwas Luft zum Atmen über die Feiertage freuen. Das Geld würde, im für uns noch immer unwahrscheinlichen Fall, dass sich unsere Pechsträhne ins nächste Jahr zieht, bis Juni 2021 reichen. Bis dahin würde sich die Lage doch sicher stabilisieren. Right? Als sich im März auftragsseitig noch immer nichts getan hatte, wurde es unangenehm. Ein weiterer Kredit stand außer Frage und wir mussten uns zum ersten Mal aktiv mit dem Insolvenzprozess und entsprechenden Konsequenzen beschäftigen.
Im Nachhinein war die aktive Auseinandersetzung mit einer Insolvenz, also Erfahrungsaustausch mit Menschen aus dem eigenen Netzwerk, Gespräche mit Anwälten, etc. wie der Regenschirm, den Mensch einpackt, in der Erwartung des letztlich ausbleibenden Regens — glücklicherweise nicht notwendig. Im April zeichnete sich nach fast einjähriger Flaute ein Auftrag ab, der uns von einer auf die nächste Sekunde in Personalnot bringen würde. Dieser Auftrag wurde im Mai tatsächlich unterschrieben und war so etwas wie der Grundstein für viele weitere tolle Dinge, die uns seit dem widerfahren sind.
Was habe ich aus der Zeit gelernt? Ich denke ein Großteil der Erfahrungen wird sich erst im Laufe der Zeit in den noch zu treffenden Entscheidungen widerspiegeln. Doch es gibt ein paar Dinge, die schon jetzt auf der Hand liegen und die möchte ich gerne mit euch teilen.
Beschäftigung trotz Kurzarbeit fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl
Im Juli 2020 haben wir die Bewilligung der Bundesagentur für Arbeit bekommen, unsere Kolleginnen und Kollegen in Kurzarbeit gehen zu lassen. 100% Kurzarbeit hätte bedeutet, dass sämtliche Anstrengungen, aus dem Auftragsloch zu kommen, auf Lisas und meinen Schultern gelandet wäre, mit überschaubarer Aussicht auf Erfolg. Wir haben uns dazu entschieden, das Kurzarbeitergeld mit unseren verbleibenden Mitteln aufzustocken und so lange wie möglich das Gehaltsniveau zu halten. Das hat uns die Möglichkeit gegeben, digitale Weiterbildungsformate zu entwickeln, unseren Auftritt anzupassen und vor allem: nicht in diesen merkwürdigen Widerspruch zu verfallen, in dem die Geschäftsführerin und der Geschäftsführer komplett überarbeitet sind, während die übrige Besatzung vor Langeweile nicht weiter weiß.
Ich kann nicht sagen, ob ich es genauso wieder tun würde, da es die Zahl schlafloser Nächte definitiv vergrößert hat. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass es Lisa und mir die Gewissheit gegeben hat, nicht alleine um das Überleben des Netzwerkknoten gekämpft zu haben. Vielen Dank dafür!
Je früher man von Krisen überrascht wird, desto besser.
Firmengründungen machen ohne existenzbedrohende Krisen sicherlich noch mehr Spaß, doch von der Utopie des lupenreinen Hockeysticks sollte Mensch sich schnell verabschieden.
Wie bei jeder anderen bisherigen unternehmerischen Herausforderung bin ich, wenn auch diesmal mit deutlich mehr Anlauf, auch bei aktuellen wirklich alles auf den Kopf stellenden Krise froh, dass sie uns verhältnismäßig früh ereilt hat. Klar ist auch, dass ich mich im Falle einer Insolvenz noch einmal anders mit der Dankbarkeit für die Corona-Krise hätte auseinandersetzen müssen 🙂
Vor dem Hintergrund einer nun hoffentlich lang währenden Firmengeschichte hat eine derartige Krise zu einem so frühen Zeitpunkt in meinen Augen gute Chancen, im besten aller Sinne Teil der Firmen-DNA zu werden: Das Wissen darum, eine derartige Situation durchgestanden zu haben brennt sich in das kollektive Gedächtnis ein und aus dem unternehmerischen Optimismus (manche nennen es Leichtsinn) á la „Das schaffen wir schon irgendwie!“ wird die Gewissheit, das Zeug dazu haben, einen Schlag in die Magengrube auch in der Zukunft parieren zu können. Am Ende steht auch fest, dass wir es nicht nur irgendwie geschafft haben, sondern eine Reihe von kleinen und großen unternehmerischen Entscheidungen dazu geführt hat, dass ein Neustart möglich wurde.
Hinzu kommt eine gehörige Portion Demut und die tut immer gut.
Netzwerk ist Silber. Reputation ist Gold.
Die vergleichsweise gute Auftragslage der ersten beiden Jahre ist in großen Teilen das Ergebnis eines starken Netzwerks, das sich mit genau jenen Fragestellungen auseinandergesetzt hat, für die wir wenigstens einen Teil der Lösung bereitgehalten haben und das gleichzeitig dazu bereit war, Geld für die gemeinsame Arbeit an den Lösungen in die Hand zu nehmen. In dem Moment, in dem alles zum Stillstand kommt, ändert sich zwar an den Herausforderungen nichts, außer dass sie nun noch dringlicher werden, doch die Bereitschaft, ein vergleichsweise junges Unternehmen für die Arbeit an deren Bewältigung zu engagieren, ist deutlich geringer. Hier reicht selbst das beste Netzwerk nicht mehr aus.
In den Gesprächen mit anderen Unternehmerinnen und Selbstständigen aus unserer Branche wurde eines deutlich: Die Wahrscheinlichkeit, gut durch die Krise zu kommen steigt, je länger du vor der Krise im betreffenden Markt unterwegs warst. Das klingt wie eine Binsenweisheit und trotzdem ist diese Erfahrung relevant, da sie dabei hilft, die zwangsläufig aufkommenden Selbstzweifel nach monatelanger Auftragsflaute zu relativieren.
Der überwiegende Anteil relevanter Kundensysteme hat sich zu genau jenem Zeitpunkt in ähnlich wilden Gewässern befunden wie wir und ich kann es niemandem übel nehmen, der oder die sich in dieser Situation nicht auf das Know How einer zwei Jahre alten Beratungsfirma verlassen wollte. Auch wenn unser Erfahrungsschatz zweifelsfrei deutlich größer ist als die zwei Jahre aus dem Handelsregistereintrag, so kann ich die Signalwirkung und gefühlte Sicherheit einer Beauftragung einer deutlich älteren Beratung neidlos anerkennen.
Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die es geschafft haben, sich über die Jahre eine Reputation aufzubauen, die sie in Momenten der Instabilität zu Ansprechpartnern des Vertrauens für ihre Kundinnen gemacht hat. Das ist ein Ziel auf das ich sehr gerne hinarbeite!
Reflexion fällt in der Stabilität leichter als in der Instabilität.
Noch eine vermeintliche Binsenweisheit. Und dennoch eine Erfahrung, die ich gerne teilen möchte. Ich bin sehr wahrscheinlich nicht der einzige Organisationsentwickler, der etwas mißmutig sagt: „Gerade jetzt, wo wir den größten Mehrwert liefern könnten, sagt der Kunde, er muss sich erstmal um die eigenen Dinge kümmern.“ Ich kann dieses Gefühl nun noch besser nachempfinden und bin nicht mehr uneingeschränkt der Meinung, dass Reflexion in Momenten der Instabilität hilfreich ist.
Reflexion erzeugt in der Regel Instabilität und das ist, bei aller Begeisterung für bewusste Irritationen, in bestimmten Situationen einfach nicht mehr hilfreich. Nicht zu reflektieren bedeutet nicht, dass eine Organisation oder eine Abteilung oder gar ein Individuum nicht auch mal innehalten sollte, um die nächsten Schritte zu sortieren — hier können wir natürlich unterstützen — für ausgiebige und wirksame Lernschleifen ist existenzbedrohende Instabilität nicht der richtige Ausgangszustand.
Es gibt Tage, an denen fällt das Toast ganze zehn von zehn Mal auf die Marmeladenseite.
Murphy’s Law is for real! Und zwar nicht nur im Bezug auf mögliche Ausgänge einer bestimmten Situation sondern auch auf mögliche Ausgänge der Gesamtheit vorhandener Situationen. Beispiel gefällig? Hold my Beer.
Es gab einen Tag im März, an dem wir mehr offene Anfragen hatten — sechs an der Zahl — als wir hätten bedienen können, wären tatsächlich alle Angebote angenommen worden. Das ist prinzipiell nicht ungewöhnlich für Beratungsfirmen, in diesem speziellen Fall war es das jedoch, da zuvor ein halbes Jahr lang beinahe gar nichts passiert ist. Unsere Conversion von Angebot zu Auftrag lag vor Corona deutlich über 50%. Ein Worst Case Szenario hätte vor der Pandemie bedeutet, dass von sechs Angeboten nur zwei angenommen werden. Nicht so in diesem Fall. Keines der eingereichten Angebote wurde angenommen. Aus zwei der Absagen konnten wir unsere Lehren bezüglich Ansprache und Herangehensweise an bestimmte Fragestellungen ziehen, die übrigen vier waren einfach Pech: Die Herausforderung die eben noch ganz unausstehlich unter den Nägeln brannte, hatte eine Umpriorisierung erfahren, die zuständige Person hat das Unternehmen verlassen oder, wie oben geschildert, man wollte sich erstmal intern in die Augen gucken, bevor von außen jemand Finger in offene Wunden legt. “Glücklicherweise” war der Teil meines Gehirns der normalerweise in einer solchen Situation in Panik geraten würde schon betäubt von den vielen kleinen Hieben auf eben genau jenes Abteil.
Was das für die Zukunft bedeutet? 1. Wenn ich mir über Worst Case Szenarien Gedanken mache, ziehe ich nun auch ernsthaft in Betracht, dass sie eintreten können und nicht nur der Vervollständigung einer Szenarioanalyse dienen. 2. Die Bandbreite möglicher Worst Case Szenarien ist keinesfalls statisch sondern passt sich an die Umweltbedingungen an. Schlimmer geht immer. Besser allerdings auch!
What’s next?
Eine Firmengründung geschieht nur, wenn es ganz zu Beginn hinreichend Anzeichen dafür gibt, dass die Firma früher oder später das Laufen lernt. In den Anfangsjahren ist vor allem das engere persönliche Netzwerk entscheidend und mit Blick auf die gemachten Erfahrungen sollte spätestens im dritten Jahr der Moment kommen, in dem auch die eigene Reputation den Ausschlag für die erfolgreiche Akquise neuer Aufträge gibt. Corona hat diesen Prozess gehörig ins Schleudern gebracht und ich freue mich darauf, dass wir uns in den kommenden Monaten wieder ruhigeren Gewässern befinden.
Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, durch diese Zeit zu kommen und gleichzeitig unser Portfolio zu erweitern. Neben den digitalen Angeboten haben wir ein Weiterbildungsangebot ins Leben gerufen, dass dem Anspruch gerecht werden will, agiles Coaching weiterzudenken.
Agilität bleibt unser Homecourt und die entsprechende Begleitung von Teams und Organisationen wird weiterhin Teil unseres Angebotes sein. Gleichzeitig ist klar, dass sich die Bedürfnisse unserer Kunden ändern und agile Frameworks als Antwort darauf zu trivial sind. Wir freuen uns darauf, zukünftig einen noch stärkeren Fokus auf das Thema Organisationsentwicklung zu legen und somit in der Begleitung von Firmen in der Transformation größere Hebel zur Verfügung stellen zu können. Stay tuned!