Menschen haben viele Arten und Weisen geschaffen, um zu legitimieren sich selbst, einen Prozess oder eine Handlung nicht verändern zu müssen. Beliebte Vertreter dieser Rubrik sind Aussprüche wie: „Das mag schon sein, aber nein, es geht nicht.“, „Das habe ich ja noch nie gehört! Ist das jetzt so ein neumodischer Trend, dem alle hinterherjagen? Ah nein, das mache ich nicht!“ oder auch „Das habe ich schon immer so gemacht. Du weißt doch: Never change a running system!“. Vor allem letzterer hat vor einiger Zeit in einer Konversation meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Was genau möchte mensch mir damit sagen? Ist das tatsächlich ein über Generationen hinweg bewiesener Fakt, der mir da entgegengebracht wird? Ist jetzt wieder ein Moment zum Innehalten gekommen, in dem ich mich besinne und mich auf alte Muster berufe oder sollte ich gerade jetzt alles alt bewährte in Frage stellen?
Der Pseudo-Anglizismus wurde von Menschen aus dem deutschsprachigen Raum erfunden und ist sprachlich sowie inhaltlich an den großen original englischsprachigen Bruder „Never change a winning team.“ und die große Schwester „If it ain’t broke, don’t fix it.“ angelehnt. Die angeblichen Weisheiten bedeuten so viel wie: Solange es funktioniert und nicht kaputt ist, lass es laufen und verändere erstmal nichts. Sofort rebelliert etwas in mir: Das ist so eine allgemeine und absolute Aussage- das schreit doch danach genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Welche Stolpersteine finden wir in der Aussage?
Starten wir mit „change“. Was bedeutet es etwas zu verändern? Es ist wichtig hier genau zu unterscheiden, ob mensch hier etwas optimieren, also kleine Veränderungen am Bestehenden, vornehmen möchte, um etwa eine Verbesserung der Gesamtleistung zu erzielen, oder beabsichtigt etwas grundsätzlich neu zu gestalten. Die Auswirkungen von letzterem sind verständlicherweise viel tiefgreifender und allumfassender. Ein gutes Beispiel für diese Differenzierung ist unser Schulsystem, denn hier wurden jahrelang Optimierungen am Prozess vorgenommen: Lehrplan angepasst, neue Unterrichtsfächer geboren, alte ad acta gelegt. Manchmal bringen Optimierungen alleine nicht die gewünschten Ergebnisse, weshalb es eine Veränderung des gesamten Geschäftsmodells braucht, z.B. werden in einigen Unternehmen Pläne zum Umbau hin zu crossfunktionalen Teams ins Leben gerufen und ausgeführt. Am besten gelingen solch drastische Veränderung mit einer entsprechenden Begleitung, sprich Expert*innen, die sich sehr gut mit Change-Prozessen auskennen und wissen, welche Methoden helfen, um den kulturellen Wandel zu unterstützen.
Was bedeutet es auf der anderen Seite ein „running system“, also ein funktionierendes System, zu haben? In unserem Kontext als Unternehmensberatung ist ein System ein theoretisches Konstrukt, welches aus Beziehungen, Handlungen und der Kommunikation besteht, welche von den Menschen, die dieses System bilden, erzeugt werden. Das bedeutet verschiedene Personen tragen mit ihren unterschiedlichen Haltungen, Meinungen, Erfahrungen etc. maßgeblich dazu bei, dass das System so ist wie es ist. An dieser Stelle fällt auf, dass Systeme grundsätzlich immer funktionieren, denn auch wenn es z.B. eine unzufriedenstellende Kommunikation für einige Teilnehmer ist, auf irgendeiner Weise, sei es verbal, mit Gestik und Mimik oder auch Enthaltung, werden die Menschen immer miteinander kommunizieren. Die bessere Frage richtet sich also nach der Wirksamkeit des vorliegenden Systems.
Ist es jetzt eine legitime Erklärung oder eine Ausrede?
Veränderungen bedeuten für die meisten Beteiligten erstmal das Gefühl eines Kontrollverlusts. Jedoch ist es eine der Aufgaben unseres Gehirns sich schnell an verändernde Umstände anzupassen, diese Fähigkeit brauchten unsere Vorfahren genauso wie wir heute. Was ich damit sagen möchte ist: Wir sollten wieder erlernen genau diesen psychologischen Effekt besser auszunutzen und darauf vertrauen, dass sich dieses Gefühl der Unsicherheit und Angst vor Veränderung legen wird.
Gibt es einen flow, also einen geschmeidigen Handlungsablauf, mit dem alle Kolleg*innen vertraut und zufrieden sind, bringt es keinen Mehrwert durch unbegründete Struktur-Neustarte dieses sensible Konstrukt aufzulösen. Dabei ist es allerdings von großer Bedeutung, genau zu untersuchen, wie sich die inneren und die äußeren Perspektiven unterscheiden. Ein Team kann z.B. sehr eingespielt, dabei allerdings sehr unwirksam sein oder ein anderes hat interne Diskrepanzen und liefert trotzdem alle erwünschten Ergebnisse.
Das Ziel ist entscheidend
Eine genaue Zielstellung und regelmäßige Retrospektiven, also Reflexionen mit allen Beteiligten, sind gute Lösungsansätze, um eine Organisation oder ein Team wirksam zu halten. Dadurch werden auch die Menschen gehört, die sich, ihre Expertisen und die ihre Arbeitspräferenzen kennen. Die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter*innen, die nun ihre ganzen Verfahrensmuster, Prioritätenlisten und Wünsche anpassen oder verändern müssen, kann nur erhalten bleiben, wenn sich die Veränderungsinitiator*innen damit auseinander gesetzt haben, ob es notwendig ist aktiv einzuschreiten und falls ja, wo es hingehen soll. Daher ist es essentiell notwendig gemeinsam zu teilen, warum sich ein Wechsel lohnt, was mensch genau bewirken und erreichen möchte und dementsprechend, welche Alternativen es gibt, wie mögliche Zielbilder aussehen und wie es angegangen werden soll: Optimierung oder komplette Systemumstrukturierung. Ein klares Bild vor Augen hilft außerdem diese Vorstellung zu kommunizieren und Beteiligte für die Veränderung zu gewinnen.
Heutzutage liegt der Begriff Change-Management in aller Munde und natürlich birgt das dahinterliegende Konzept viele Möglichkeiten. Trotz aller Chancen appellieren wir vom Netzwerkknoten keinen allgemeingültigen Empfehlungen nachzugehen. Jedes System steht vor individuellen Herausforderungen, daher bedarf es auch maßgeschneiderte Lösungen. „Copy and paste“ in diesem Kontext funktioniert in den seltensten Fällen und gefährdet Mitarbeiter*innen, Produkt und Unternehmen. Modernisiert euer Unternehmen, tretet aus der Zuschauerrolle heraus und werdet Gestalter*in. Wir unterstützen euch gerne dabei!