Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir vergessen haben – und was wir ganz bestimmt nicht nochmal machen. Jeden Freitag frisch aus dem Berliner Büro.
Hallo, Guten Tag. Hier geht es natürlich nicht um irgendwelche Männer, die nicht zuhören, dafür aber fabelhaft einparken können, das wäre ja sowas von 2001. Hier geht es um das, was ihr dachtet von der Sekunde an, als ihr diesen Artikel angeklickt bis zu der, in der die Erwartung gebrochen wurde. Es ist hier völlig egal, was Frauen besser können als Männer, die interessantere Frage ist, was in unseren Köpfen passiert, sobald wir diesen oder andere Sätze lesen. Und in unseren Brustkörben. Genugtuung, Ärger, Unglaube, Überraschung? Denken wir gleich an Wärme, Pflege, Kommunikation? Oder ans Autofahren? An Unternehmensführung? Auch wenn es sicherlich überschneidende Tendenzen gibt, werden viele von euch die Headline individuell beantwortet haben, ganz unbewusst.
Vermutlich denken viele von uns in bestimmten Fragestellungen, die irgendwie menschliche Gruppen, Tätigkeiten oder Orte beschreiben an sehr ähnliche Dinge und manche eben ganz andere. Für die heutige Kolumne ist nicht relevant, welche Zuschreibungen nun inhaltlich korrekt oder moralisch angemessen sind. Die Frage dürft ihr euch gerne selbst stellen. Fakt ist, dass alle Menschen über Erwartungen und Zuschreibungen ihren Alltag navigieren. Ich erwarte, dass der Bus dann kommt, wenn er laut Plan kommen soll. Ich erwarte als Berliner*in auch, dass der oder die Fahrer*in vermutlich weniger höflich sein wird. Ich erwarte, dass der Bus um 17 Uhr voll sein wird und die alte Person erwartet, dass ich aufstehe und erwartet gleichzeitig, dass ich es nicht tue, weil die Leute heutzutage keine Manieren mehr haben.
Erwartungen sind geographisch
Somit ist eine unaufregende Tätigkeit wie Busfahren schonmal beladen mit Erwartungen, auch solchen, die aufeinanderprallen und in den seltensten Fällen laufen sie bewusst ab. Diese Erwartungen und Zuschreibungen können gebrochen werden, zum Beispiel, wenn der Bus zu spät kommt, die Fahrerin (oder der Fahrer, aber wir brechen ja gerade Erwartungen) extrem freundlich ist, trotz Feierabend fast niemand drin sitzt und wenn doch, jemand für die alte Person aufsteht und deren Erwartungen somit gleichzeitig erfüllt und gebrochen wurden. Das verzeichnen wir dann vermutlich als Ausnahme und wundern uns nicht groß, wenn am nächsten Tag alles wieder ist wie gehabt.
Gleichzeitig sind all diese Erwartungen gekoppelt an geographische, kulturelle und soziale Selbstverständlichkeiten. Leute, die neu nach Berlin kommen, regen sich gerne über die Fahrer*innen auf, andere sind verwirrt von der Pünktlichkeit und Häufigkeit der Busse, andere irritiert über die Art und Weise, wie Leute in den Bus ein- und aussteigen. Dass Erwartungen Erwartungen sind und keine Fakten, fällt uns meistens dann auf, wenn wir in irgendeiner Form die Perspektive wechseln. Sie sind beschaffen aus verschiedenen Faktoren wie Erfahrung, Überzeugung, Erlerntem und oft auch Erwünschtem. Sie prägen Verhalten und Sprache und werden gleichzeitig von diesen geprägt.
Arbeit mit der eigenen Landkarte
Um als Team die Fähigkeiten aller zu entdecken und gemeinsam neue Ideen zu entwickeln, ist es extrem hilfreich, sich der eigenen Erwartungen und Zuschreibungen (auch derer an sich selbst übrigens) bewusst zu werden. Darunter fällt auch die Arbeit mit der eigenen Landkarte – denn alle Menschen tragen so etwas wie eine kollektive und auch eine individuelle Landkarte in sich. Die beiden mit innerer Arbeit grob auseinander zu differenzieren ist sehr nützlich für das Finden der eigenen Position, also die Haltung, mit der wir durchs Leben gehen.
In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, mit Erwartungswerten zu kalkulieren. Und zwar immer dann, wenn es nützlich ist, Komplexität und Individualität zu reduzieren. Dabei müssen wir uns im Klaren sein, dass der Erwartungswert nicht nur statistisch betrachtet ein theoretischer ist. Wenn wir wirklich etwas wissen und erfahren wollen, empfiehlt sich eher ein Perspektivwechsel und eine individuelle Betrachtung – und zwar nicht nur der beobachteten Sache oder Person sondern mit mindestens genauso viel Aufmerksam der Blick auf sich selbst. Sozusagen der Blick auf den eigenen Blick.