Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir vergessen haben – und was wir ganz bestimmt nicht nochmal machen. Jeden Freitag frisch aus dem Berliner Büro.
Manche glauben, was sie sehen und andere trauen ihren Augen nicht. Glauben kann vieles bedeuten, trauen auch. Auch wenn’s nahe liegt, das hier wird kein religiöses Traktat. Gleichzeitig haben die Begriffe wie Glauben selbstverständlich eine christliche Tradition. Das Gleiche gilt auch für Liebe, Hoffnung und Verzeihen.
Der Glaube ist stark mit einer spirituellen Geschichte verknüpft und wird deshalb außerhalb von derartigen Diskussionen (die übrigens relativ häufig mit Wein korrelieren, sei’s am Altar oder am Feierabend in der Küche oder im Büro) seltener behandelt. Und trotzdem taucht Glauben im alltäglichen Sprachgebrauch unglaublich häufig auf. “Ich glaube, ich gehe jetzt.” Oder: “Ich glaube, es ist halb drei.” Oder, zur Zeit vermehrt: “Ich glaube nicht an Viren.” (Hä?) “Ich glaube, da geht noch mehr.” Okay, weiter. “Glaubst du mir?” Oder auch: “Glaube niemanden, der [setzen Sie hier gerne irgendetwas ein, das Ihnen gut passt.]” Und auf einmal klingt das Ganze gar nicht mehr so spirituell.
Dennoch riecht Glauben irgendwie immer noch ein bisschen nach Weihrauch oder Verschwörungsideen, weshalb wir gerade im Berufsalltag scheinbar lieber mit den Wörtern Überzeugung oder Einschätzung operieren. Vielleicht sogar dann, wenn wir glauben meinen. Das ist natürlich nicht verboten und doch hilft eine gewisse Präzision und Kenntnis der eigenen sprachlichen und emotionalen Landkarte, um klar zu kommunizieren und Missverständnisse zu reduzieren.
Glaube getarnt als Wissen
Überzeugungen und Einschätzungen sind sicherlich mit Glauben verwandt, sie transportieren aber eine Idee von Messbarkeit. Man schätzt ein Projekt anhand von Erfahrungswerten, Prädiktoren und Erfolgschancen ein, man überzeugt andere mit Argumenten, Beweisen, notfalls mit Druck. Glauben funktioniert anders. Er fühlt sich oft absoluter an Überzeugung oder Einschätzung. Oft sehr ähnlich wie Wissen. Nur, dass Wissen falsifizierbar ist und Glaube nicht. Das macht ihn stabiler als Wissen und auch unflexibler.
Klar ließen sich jetzt tausend Beispiele herbeiführen, in denen das zum Problem wird. Situationen, in denen Menschen sich nicht von Tatsachen beirren lassen und immer weiter den eigenen Glauben als Wissen tarnen. Wir suchen ja immer das Gute am Problem. Nehmen wir mal den bedeutungsschweren Satz “Ich glaube an dich.” Vielleicht stellt ihr euch kurz vor, wie sich das anfühlt, diesen Satz zu hören.
Gibt es einen Unterschied zu “Ich bin überzeugt, dass du das kannst”? Oder zu “Ich weiß, dass du das schaffst”? Wahrscheinlich schon. Erstens sind Überzeugungen und Einschätzungen sehr konkret und an differenzierbare Fähigkeiten oder Eigenschaften gekoppelt. An jemanden Glauben ist ganzheitlicher. Und Überzeugungen und Einschätzungen sind Wahrscheinlichkeitsrechnungen, also immer mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit behaftet. Sie sind falsifizierbar. Wenn jemand an eine Person glaubt, ist es fast egal, wie viele Versuche sie am Ende braucht, um dieses oder jenes zu schaffen. Das Gleiche gilt für diejenigen, die an sich selbst und ihre eigenen Ideen glauben. Über die konkrete Ausführung lässt sich da vielleicht diskutieren, im Kern bleibt eine sehr stabile Kraft.
Wie gesagt, das hier ist kein Pamphlet für Glauben ins Blaue rein. Vielleicht aber eins für genaue Blicke auf die Sprache, die wir gebrauchen, um ehrlich und wirksam mit uns selbst und mit anderen zu arbeiten.
Wer mehr über Sprache und Wirksamkeit hören möchte – das Ganze gibt’s auch live als Training.