Was wir gelernt, worüber wir gelacht und was wir vergessen haben – und was wir ganz bestimmt nicht nochmal machen. Jeden Freitag frisch aus dem Berliner Büro.
Stell dir vor, eine Stunde verschwindet einfach und niemand kriegt’s mit. Ist passiert, wirklich. Am Sonntag. Während all die Jahre davor immer darüber gesprochen wurde, mit Augenzwinkern und Augenrollen und Klagen über das zerstobene Zeitgefühl oder Freude über die längeren Tage. Und dieses Jahr? Den meisten fiel die Zeitumstellung erst auf, als die 2 schon von der 3 gefressen worden war. Achselzucken, kurzes Wundern, in Zeiten, in denen jeglicher Rhythmus aus dem Takt gehebelt ist, macht eine kleine Stunde den Braten jetzt auch nicht mehr fett.
Das ist interessant. Was wir hier beobachten können, ist eine klare Verschiebung der Prioritäten. Und vor allem auch dessen, was als normal gilt. Ohne Corona-Krise ist es normal, dass eine Stunde nach zwei Uhr gefälligst drei Uhr zu sein hat. Und nicht gleichzeitig. Die Zeitumstellung durchbricht diese Normalität und ist demzufolge relevant und über Relevantes wird gesprochen.
Derzeit, mit Kontaktbeschränkungen, Existenzängsten, veränderten Arbeitsumfeldern ist die Zeitumstellung auf einmal etwas aus der bekannten Normalität. Sie muss nicht extra besprochen werden, weil sie eine gewohnte Durchbrechung des Alltags ist.
Nur weil etwas nicht auffällt, ist es nicht automatisch “normal”
Die Verhältnisse bestimmen also das Verhalten. Der beschriebene Mechanismus lässt sich auf sämtliche Bereiche übertragen. Prioritäten, Relevanzen und Alltäglichkeit sind keine festen Klötzchen, aus denen wir unser Leben zusammensetzen, sondern sie setzen sich immer aus einer Perspektive zusammen und die wiederum generiert sich aus Erfahrung.
Für die Zusammenarbeit in Organisationen ist das wichtig, fürs Coaching sowieso. Und es führt uns dahin, immer wieder den Boden unter den eigenen Fersen zu betrachten (und dafür unweigerlich einen Schritt zur Seite zu treten, Perspektivwechsel, yay!) Dasselbe gilt für die Kommunikation untereinander: Nichts ist deshalb wichtig, weil es wichtig ist. Nichts ist selbstverständlich, weil es in den Jahren zuvor auch schon so gemacht wurde. Nichts ist normal, nur weil es nicht auffällt.
Erinnert ihr euch an die ersten Tage der Kontaktbeschränkungen? Als wir uns nicht vorstellen konnten, wie das je normal werden kann? Kinder zu Hause, mehr Arbeit, Homeoffice, kaum Arbeit? Niemand sagt, dass es so wie es ist fantastisch ist und immer so bleiben soll. (Wird es auch nicht!) Gleichzeitig können zumindest wir beobachten, wie in dieser Ausnahmesituation jetzt Regelmäßigkeit eintritt, etwas entsteht, was sich wie Normalität anfühlen kann. Mehr Witze im Teamchat etwa, die sonst am Frühstückstisch im Büro geteilt worden und nicht unbedingt verschriftlicht worden wären. Das Wissen, wie die Pflanze hinter dem Schreibtisch des Kollegens aussieht. Das Wissen, dass er nicht weiß, wie die Pflanze heißt. Eine neue Distanz und ein neues Annähern, das neu ist und genau wie mit der fehlenden Stunde bemerken wir den Großteil wahrscheinlich erst, wenn der kleine Zeiger ohne Vorankündigung einfach 60 Minuten auf dem Zifferblatt übersprungen hat.