“Wenn Sie sich in einer Verhandlungssituation befinden, vermeiden Sie unbedingt die Worte nein, leider und aber!” versuchte Matthias Schranner meiner Kollegin Lisa und mir sowie weiteren 50 Teilnehmern auf einem Verhandlungsseminar einzutrichtern. “Aber was, wenn das nicht geht” trotzte es prompt aus dem Publikum. “Danke, dass Sie ihre Bedenken mit mir teilen, das Gespräch ist hiermit beendet.”
Ich selbst war sehr dankbar dafür, auch außerhalb meiner agilen Blubberblase jemanden zu finden, der das Wort aber genauso schwierig findet, wie ich. Nach ziemlich genau fünf Jahren der ständigen Selbstregulierung gelingt es mir mittlerweile sehr gut, das Wort zu vermeiden. Ich hatte damals an einer Weihnachtsklausur meines ehemaligen Arbeitgebers teilgenommen, deren Moderatorin nicht aufhören wollte, uns über die Destruktivität dieser Vier-Buchstaben-Kombo zu belehren: “Wenn ihr einen Satz positiv beginnt, und mit einem Aber in den zweiten Teil dieses Satzes startet, ist es so, als hättet ihr die erste Hälfte gar nicht gesagt. Sie wird komplett negiert.”
Der Klassiker ist jedem bekannt:“Ich hab ja nix gegen Flüchtlinge, aber…” Wer sich beim Lesen dieses Satzanfangs wiedererkennt, darf übrigens gerne das Unsubscribe-Knöpfchen drücken und sich auf den Seiten des Postillons darüber aufregen, dass die mal besser waren, als sie sich noch nicht über die AfD lustig gemacht haben.
Genauso häufig finden wir das Aber auch im Arbeitskontext. Kollegin A macht einen Vorschlag, Kollege B findet den prinzipiell ganz gut, aber…Liebe Kollegin A, dein Vorschlag war leider nicht einmal ein Zehntel so gut wie der von Kollege B. Die rhetorischen Fähigkeiten reichen immerhin noch soweit, dem Gegenüber nicht sofort zu sagen, wie sinnlos das Gesabbel in seinen Augen gerade war. Gleichzeitig ist vollkommen klar, dass in diesem Gespräch keinerlei gemeinsames, konstruktives Miteinander mehr stattfinden wird.
“Build on the ideas of others” heißt es, unter anderem, im Design Thinking. Das fängt bei der Sprache an und äußert sich vor allem darin, Dinge zum bereits Gesagten hinzuzufügen, statt das Neue als das wirklich Wichtige stehenlassen zu wollen.Wer schon einmal an Improvisationstheater-Workshops teilgenommen hat, kennt vielleicht Übungen, in denen mehrere Menschen eine Geschichte erzählen sollen, ohne vorher gesagt zu bekommen, wie sie ausgeht. Jede® redet solange, bis er oder sie von der Moderation unterbrochen wird. Die einzige Regel ist, dass der, auf dem bereits gesagten aufbauende Teil mit “ja, und…” begonnen wird. Das ist unfassbar schwer. Und gleichzeitig sehr erheiternd und ermutigend. Merkste was?
Seit besagter Teamklausur versuche ich also dieses kleine Wort zu vermeiden und stattdessen andere Worte zu finden. Das geschieht keineswegs zum Selbstzweck sondern ermöglicht neue Blinkwinkel während der eigene Standpunkt trotzdem deutlich gemacht werden kann. “Ich finde es toll wenn Du einen Artikel über die Verwendung des Wörtchens Aber schreibst, aber einen Artikel über Alpakas finde ich viel spannender.” Der vorliegende Artikel wäre in dem Fall wohl nie zustande gekommen. “…gleichzeitig glaube ich, dass ein Artikel über Alpakas auch relevant ist” erhöht auf einen Schlag die Verhandlungsmasse. Wir müssen uns nun nur noch darüber unterhalten, welcher Artikel zuerst geschrieben wird (Hint: dieser hier).
Und wie kommt Mensch nun raus aus diesem Aber-Sumpf? All-Time Favorite ist die Verwendung von gleichzeitig. Findige Köpfchen stellen fest, dass allein dieser Text schon mehrere Gleichzeitigs bereithält. Es ermöglicht die friedliche Koexistenz mehrerer Ideen, ohne einem die Möglichkeit zu nehmen, die eigene Meinung deutlich zu machen.
Ein weiteres Experiment ist die Verwendung des Wortes und anstelle von aber (Fortgeschrittene probieren gerne mal und und gleichzeitig gleichzeitig *drops microphone*)
Debattier-Club-Gewinner können nun natürlich sagen, dass eine bloße Auswechslung eines Wortes durch ein anderes noch lange nicht die Haltung des Sprechers ändert. Ich lade an dieser Stelle zu langfristigeren Beobachtungsintervallen ein — Sprache schafft Realität.
Der erste Schritt in ein weitgehend aber-freies Leben kann sein, sich zunächst eine Weile selbst zu beobachten um festzustellen, was die Verwendung von aber in den jeweiligen Situationen für einen selbst und das Gegenüber für eine Bedeutung haben sollte und könnte. Im nächsten Schritt kann die Verwendung dann langsam und bewusst zurückgeschraubt werden.
Warum gibt es für Verhandlungsführer eine Blacklist mit Worten die nicht verwendet werden sollen? Klar ist, dass die wenigsten Verhandlungspartner Strichlisten in ihren Notizblöcken führen und beim siebten Aber den Raum verlassen. In Verhandlungen im Grenzbereich, wie Matthias Schranner — ehemaliger Verhandlungsführer bei der Polizei — die besonders brenzligen Verhandlungen nennt, kommt es trotzdem auf jedes Detail an. Die Wortwahl ist hier, neben der Körpersprache, das wichtigste Indiz für die Haltung des Gegenübers.