Warum Mustererkennung der Anfang jeder Veränderung ist
Wenn ein Unternehmen sich auf den Weg in die Veränderung macht, ist die erste Frage, die wir als systemische Organisationsberatung stellen: warum tut sich der Kunde das an? Welches Problem soll hier gelöst werden? Und was soll nach dem Prozess anders sein?
In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen beginnt bereits der Veränderungsprozess. Ein gewisses Zielbild, das auf dem Weg iterativ angepasst wird, ist ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg von Veränderungsprozessen. Daneben gibt es jedoch einen elementaren Punkt, der über das Wohl und Wehe der Veränderung entscheidet: die Erkenntnis der Muster im eigenen Unternehmen und was diese anrichten.
Was sind Muster?
Muster sind wiederkehrende, eingespielte Kommunikations- und Verhaltensweisen, routinierte Prozesse und Abläufe innerhalb einer Organisation. Für das Überleben von Organisationen sind sie ganz entscheidend, denn sie reduzieren Komplexität und stabilisieren in unsicheren Umgebungen. Wo in eingespielten Prozessen kommuniziert, gearbeitet und entschieden wird, wird Energie eingespart. Diese kann an anderer Stelle für neue Herausforderungen, ungeplante Arbeit und Innovation genutzt werden.
Gleichzeitig können Muster die Veränderung und das Wachstum von Unternehmen nachhaltig behindern. Vor allem dann, wenn sie nicht mehr zu den aktuellen Herausforderungen passen. Nun verhält es sich mit Mustern ja so, dass wir sie in der Regel gar nicht mehr als solche erkennen, so etabliert sind sie. Damit erfüllen sie ja gerade ihren Zweck der Komplexitätsreduktion. Aus diesem Grund gehört es zu den wichtigsten und potenziell machtvollsten Erkenntnissen von Unternehmen, dass es überhaupt wiederkehrende Muster in ihrer Organisation gibt und welche davon Veränderung fördern oder behindern.
Auf der Suche nach Mustern mit dem Kundensystem
Dieser Erkenntnis ist jedoch gar nicht so leicht zu erreichen, wie ich gerade erst in einem Beratungsprojekt erfahren durfte. Das Kundensystem hatte eine klare Vorstellung, was es braucht: ein bestimmtes Strukturmodell, das den Fokus auf das Produkt legt. Die Ausrichtung des Unternehmens auf die Wertschöpfungskette: ein absolut sinnvoller Gedanken. Allerdings stellten wir in der Begleitung schnell fest, das andere Anliegen hinter diesem Wunsch nach anderen Strukturen lagen. Von Anfang an war bei den Führungskräften die Unsicherheit spürbar, ob das Modell die richtige Antwort auf die Herausforderungen der Organisation sei.
Im Rahmen unserer Interviews, bei ersten Meetings und Workshops tauchten Kommunikations- und Verhaltensweisen auf, die sich wiederholten. Immer wieder knirschte es bei unterschiedlichsten Themen: bei der Aufteilung der Produkte und den damit verbundenen Mitarbeitenden im neuen Strukturmodell, bei der Sichtbarmachung von Arbeit in einem digitalen Planungstool, bei der Planung einer neuen IT-Architektur und letztlich bei der Bewertung der Mitarbeitenden bzgl. ihrer Veränderungsbereitschaft.
Aha, Muster, denkt die systemische Organisationsentwicklerin. Aber welches? Und was stützt es? Was ist daran hinderlich, was förderlich für den laufenden Veränderungsprozess?
Da lief mir Podcast-Fan ein Interview mit Torsten Groth von dem Beratungs- und Ausbildungsinstitut Simon Weber& Friends (SWF) zum Thema Muster über den Weg (Systemisch — Agil: Kommunikationsmuster — Deep Dive mit Torsten Groth (Simon, Weber & Friends) Teil 1 auf Apple Podcasts). In diesem Interview sprach Torsten Groth über drei häufige Kommunikationsmuster in Organisationen: das Harmonie‑, das Spaltungs- und das Chaos-Muster. Und plötzlich wurde mir klar: wir waren einem Spaltungsmuster auf der Spur.
Das Spaltungsmuster
Groth beschreibt es als ein Muster, in dem alt gegen neu, Bewahrer gegen Innovatoren, Wasserfall gegen agil unterwegs sind und eine Spaltung der Organisation befördern. Das war es!
Auf der einen Seite fanden wir einen Produktbereich vor, dessen Produkte auf einer großen Plattform linear entwickelt und schon länger live war. Es gab viele gut eingespielte Prozesse, die sich bewährt hatten, um in der wiederum sehr projektgetriebenen und von Auftraggebern geprägten Ad-hoc-Kultur zu überleben. Außerdem musste das Live-Produkt am Laufen gehalten werden – da ging es nicht um iteratives Neuentwickeln, sondern um Bugs beheben und Maintanance. Auf der anderen Seite stand ein neuer Produktbereich, in dem in einer anderen IT-Umgebung neue Produkte entwickelt wurden, ohne das immer klar war, wer sie abnehmen und wann sie live gehen würden. Hier fanden wir mehr Verantwortung bei Product Ownern und weniger bei den Führungskräften in der ansonsten recht hierarchisch geprägten Unternehmenskultur. Diese zwei Produktbereiche waren wie zwei unterschiedliche Welten, die in Form ihrer Führungskräfte aufeinandertrafen. Langsam wurd uns klar, dass das Knirschen, das wir in Interviews und Planungssessions wahrnahmen, das Aufeinandertreffen dieser beiden Welten war. Für die Mitarbeitenden kam es wie ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Führungskräften daher. Dabei wurde hier ein strukturelles Muster sichtbar: der Konflikt zwischen dem etablierten Life-Produkt und der agilen Entwicklung neuer Produkte. Und warum? Weil es an einer klaren Ausrichtung, einer strategischen Entscheidung fehlte, wie in Zukunft Produkte entwickelt werden sollten. So wirkte der Konflikt wie ein personalisierter Konflikt zwischen den beiden Führungskräften, obwohl er struktureller Natur war.
Muster erkannt – was nun?
Wer sich oder sein Unternehmen in dieser Beschreibung wiedererkennt, sollte überlegen, ob und wie klar die Strategie des Managements ist. Denn genau das – so auch Groth — ist häufig der Auslöser für ein solches Spaltungsmuster. Brauchen die beiden Welten einander, muss entschieden werden, in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen. Soll das Zielbild ein agiles Setting sein, so muss die „alte“ Welt transparent und behutsam dorthin begleitet werden. Hier muss das Management Entscheidungen treffen und nicht mit dem Argument des „Empowerments“ und „die sollen mal alleine ihre Konflikte lösen“ nach unten delegieren. Sonst entwickeln sich Konflikte zwischen Mitarbeitenden, die sich an dieser strukturellen Dissonanz auf persönlicher Ebene abarbeiten. Die Folge können Personalfluktuation, Fehleranfälligkeit und Einbußen bei der Innovationsfähigkeit und der Time-to-market sein.
Was haben wir damit gemacht, fragt Ihr Euch jetzt? Die Mustererkennung von Berater*innen ist ja erst einmal nur eine Hypothese. Diese haben wir geteilt, haben Angebote zur Reflexion gemacht, zum Dialog zwischen den Welten eingeladen. Allerdings griff dann ein anderes Muster der Organisation: ein Verdrängungsmuster mit der auf den ersten Blick förderlichen Wirkung, auf der Sachebene weiterarbeiten zu können. Für eine Bearbeitung des Spaltungsmusters fehlte es an strategischer Klarheit des Managements sowie Vertrauen und Konfliktfähigkeit der Mitarbeitenden, den strukturellen Konflikt lösen zu können. Und es fehlte ein geschützter Raum, in dem echte Begegnung in Präsenz hätte möglich werden können, um Ver- und Aushandeln gemeinsam zu üben.
Beratung kann geschützte Räume schaffen
Genau solche Räume versuchen wir in unseren Beratungsprozessen immer wieder zu schaffen. Gerade um in die Tiefe von Organisationen zu gehen, um dort Muster zu heben, die wir für Veränderungsprozesse nutzbar machen können. Mal gelingt es, mal nicht.
Was dürft Ihr mitnehmen aus diesem Beitrag: macht Euch auf die Suche nach den Mustern in Euren Unternehmen. Besprecht miteinander, was Ihr gefunden habt. Und überlegt, ob Euch die Muster an der passenden Stelle helfen, Komplexität zu reduzieren. Wo sie Euch hindern, Eure Organisation weiterzuentwickeln könnt Ihr überlegen, wie Ihr sie brechen könnt. Einfach mal etwas anders machen.